Rückblick

Medienartikel   |   Dienstag 10.04.2012

Die Sänger im Griff

Den Männerchor Gossau gibt es seit 155 Jahren. Nun wird er erstmals von einer Frau dirigiert. Kathrin Pfändler stellte sich einem langwierigen Auswahlverfahren und setzte sich durch. Wer ist die Frau, die 90 Männer zum Singen bringt?

 

Die Zehen anspannen und wieder entspannen. Die Schultern anspannen und wieder entspannen. «Dann Durchatmen». So beginnt Kathrin Pfändler ihren vierten Abend als Dirigentin des Männerchor Gossau. Die 52-Jährige steht im Kirchgemeindehaus Haldenbüel vor einem schwarzen Flügel. Ihr gegenüber etwa 60 Männer. Unter ihnen der Stadtpräsident, Ärzte, Gewerbler, Unternehmer, Pensionäre. Im Männerchor wird nicht nur gesungen. Er ist auch ein Verein, wo sich wichtige Männer treffen und sich austauschen.
Die Dirigentin kümmert das wenig. Sie hat keine Berührungsängste, zeigt keine Nervosität und konzentriert sich auf die Musik. Und schon beim Einsingen wird klar, die Männerstimmen klingen zusammen harmonisch. Nicht ohne Grund sind die Gossauer bei Gesangsfesten immer vorne mit dabei.

Gegen 16 Bewerber durchgesetzt.
Damit das auch so bleibt, hat der Chor Kathrin Pfändler aus Tübach zur Dirigentin erkoren. Das Interesse an der Aufgabe, den grössten Männerchor der Ostschweiz zu dirigieren, war beachtlich. Die neue Dirigentin musste sich gegen 16 Mitbewerber – davon sechs Frauen – durchsetzen. Und das will etwas heissen. Denn das Auswahlverfahren ist langwieriger als in manchen Gemeinden die Präsidentenwahl.
Eine eigens einberufene Findungskommission wählte unter den Bewerbern zuerst drei Favoriten aus. Diese mussten dann je eine Stunde lang den Chor leiten. Nachdem der Chor alle drei Kandidaten für wählbar erklärt hatte, holte die Kommission Referenzen und Rat ein. «Musikalisch sind wir ja Laien», sagt Chorpräsident Clemens Schöb. Erst dann traf die Kommission eine Wahl und schlug dem Chor ihre Favoritin vor. Dass die Wahl erstmals in der Vereinsgeschichte auf eine Frau gefallen war, sorgt im Männerchor für wenig Wirbel. «Bisher macht sie abwechslungsreiche Proben», sagt ein Sänger. «Das ist die Hauptsache. Ob es ein Dirigent oder eine Dirigentin ist, spielt doch keine Rolle.» Ein anderes Chormitglied sagt zwar, man verstehe die Dirigentin kaum, weil sie so leise spreche. «Aber das war schon bei ihrem Vorgänger so.»

Einzelne kritische Stimmen
Die Geschlechterfrage sei teilweise diskutiert worden, sagt Chorpräsident Clemens Schöb. «Es gab einzelne kritische Stimmen.» Die Mitglieder hätten sie dann aber «mit grosser Mehrheit» gewählt. Kathrin Pfändler selbst ist der Meinung, dass es gesanglich ein Vorteil sein kann, wenn Männer von einer Frau dirigiert werden. «Eine Frau bekommt Männer besser in den Griff», sagt sie. Wenn vorne eine Frau stehe, sei die Stimmung im Raum eine andere, was auch zu hören sei. Während der Probe formt Kathrin Pfändler die Vokabeln mit Händen und Mund, gibt hie und da Anweisungen. «Chömed, chömed», sagt sie zum Beispiel. Dann singen die Männer lauter. Bis an ihren Hälsen Sehnen hervor treten und die Stimmen im ganzen Raum donnern. Und wenn die Dirigentin mit zwei Fingern ihre Mundwinkel nach oben zieht und so zu verstehen gibt, fröhlicher zu singen, dann klingt der Gesang sofort etwas lüpfiger.
Kathrin Pfändler dirigiert seit 30 Jahren. Zurzeit den Männerchor Oberegg-Rehtobel, den Appenzeller Panorama-Chor und den Frauenchor Rorschacherberg. Ebenso lange wie sie dirigiert, arbeitet sie als Primarlehrerin. Ob ihr die Erfahrung im Klassenzimmer bei den Proben helfe? «Nicht unbedingt», sagt sie. Sie müsse aufpassen, dass sie nicht lehrerhaft wirke. Die grösste Herausforderung sei, sich die Namen aller Mitglieder zu merken. Nervosität, vor so vielen Männern aufzutreten, spüre sie keine. Und auf die Frage, ob das auch der Fall sei, wenn der Stadtpräsident mitsinge, antwortet sie: «Welches war der Stadtpräsident? Für mich sind einfach alles Sänger.»

 

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